WORKS

Tracks:
01. Stillness (1’45″)
02. Bounce Bounce (2’29″)
03. Clock Winder (2’43″)
04. Adash (5’30″)
05. Godot (12’37″)
06. Krakow (2’46″)
07. North Atlantic (6’49″)
08. Draw a Map (2’28″)
09. Ashes (3’17″)
10. Sink (2’06″)
11. Halo of Honey (3’00″)
12. Rift (6’31″)
LP/CD. Release date: 22nd May, 2012.
All music composed and performed by Hilary Hahn and Volker Bertelmann.
Co-published by Songs of George Music, NYC and Bosworth Music GMBH, Berlin.
Produced by Volker Bertelmann, Hilary Hahn and Valgeir Sigurðsson.
Mastered by Andreas K. Meyer at Meyer Media Mastering LLC.
All music recorded and mixed at Greenhouse Studios, Iceland by Valgeir Sigurðsson from May 21st to 31st , 2011.
von Hilary Hahn and Hauschka
übersetzt von Ronald Gutberlet
Silfra liegt nicht weit von Reykjavik entfernt und markiert den tektonischen Riss zwischen der nordamerikanischen und der eurasischen Kontinentalplatte. An diesem Grabenbruch kann man in einer geradezu übernatürlich ruhigen Umgebung blaue und grüne Farbtöne finden, die es nirgendwo sonst gibt. Wenn man hier während eines Schneesturms taucht, hat man das eigenartige Gefühl, in einem vorzeitlichen Raum unterwegs zu sein. Man fühlt sich klein inmitten einer unendlichen, unwirklichen Landschaft. Tatsächlich wirkt Silfra überhaupt nicht wie ein Riss, sondern eher wie eine Naht, die zwei Einheiten miteinander verbindet.
Dieses Album wurde auf Island aufgenommen, einem Ort, der sozusagen unsere unterschiedliche Herkunft symbolisiert. Wir haben uns in der Mitte verabredet, aber nicht nur deshalb, weil Europa und Amerika an dieser Stelle aufeinander treffen. Die Insel hat einen ganz eigenen Charakter. Für uns war von Anfang an klar, dass wir in dieser Umgebung, die Freiheit und Unabhängigkeit ausstrahlt, mit unserer Musik etwas Besonderes erreichen könnten.
Die Vorbereitungen dauerten zwei Jahre. Wir hatten nicht von vornherein die Absicht, ein komplettes Album aufzunehmen. Silfra entstand aus unserem Drang, als Duo eine einheitliche musikalische Stimme zu finden. Wir wollten das, was wir normalerweise allein taten, zusammenfügen. Dafür trafen wir uns regelmäßig zu gemeinsamen Improvisationen. Irgendwann hatten wir eine Stufe erreicht, die kaum noch steigerungsfähig war, also suchten wir uns eine neue Herausforderung und gingen ins Studio. Vorbereitetes, festgelegtes Material war so gut wie keins vorhanden, aber wir hatten eine ziemlich genaue Vorstellung, wie wir vorgehen wollten. Als wir begannen, waren wir überrascht, wie weit die Arbeit im Studio uns voranbrachte und antrieb. Unsere Entscheidung, diese Aufnahmen in Island zu machen, stellte eine besondere Herausforderung dar. Das Land ist klein, lebhaft und rau. In dieser Umgebung werden Künstler angespornt ihre Kreativität frei zu entfalten. Woanders hätte diese Musik niemals entstehen können.
Alle Stücke auf dem Album sind so zu hören, wie sie gespielt wurden. Es wurden keine nachträglichen Änderungen vorgenommen. Die Aufnahmen geben genau jene Momente wieder, in denen die Ideen zum Leben erwachten.
Stillness
“Stillness” war unsere letzte Aufnahme. Der Nachmittag neigte sich seinem Ende zu und wir hatten einen Zustand ganz besonderer Ruhe erreicht. Das Stück war als Experiment gedacht. Es beginnt mit sich übereinander schichtenden Violinklängen, einem Hauch von Harmonie und einer hastigen Melodie in sehr hohen Tönen. In diese Struktur fügen sich einige Noten ein, die von einem E-Bow erzeugt wurden, der die Saiten im Piano berührt. Das entstandene Klanggebilde bleibt erwartungsvoll in der Luft hängen.
Bounce Bounce
Zwischen den Aufnahmen wurde jedes Stück durch “Bouncing” als Backup auf die Festplatte kopiert. Während das geschah, hörten wir uns das Playback an, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Musik sich zusammenfügt. Dieses Stück will nicht stillhalten. Zum Teil wurden hier Töne von einem Gummiball erzeugt, der im Inneren eines Flügels auf und ab hüpft und an eine Bassdrum erinnert. Auf diese Weise wird eine nicht nachlassende Energie erzeugt. Es war der Versuch, die Spannung zu lösen, die sich in den ersten Tagen im Studio angestaut hatte. Es funktionierte ziemlich gut. Der Konzertflügel wurde arg beansprucht, genauso wie der Geigenbogen.
Clock Winder
Manche Mechanismen können nur funktionieren, wenn der Mensch gelegentlich eingreift. Der Titel “Clock Winder” (Uhrenaufzieher) schien zu diesem Stück zu passen, weil hier nicht zusammengehörende Klänge herumspringen und sich wie Federn und Notenschichten auf ganz bestimmte Art strukturieren – das hat einen mechanischen Effekt, aber eben nicht ganz: Es findet sich darin auch ein emotionaler Zug, der diese Tendenz aufhebt. Winzige Teile dieses Stücks tauchten immer wieder bei unseren Sessions auf, ohne dass es einen bestimmten Grund dafür gegeben hätte.
Adash
“Adash” ist der Name eines Jungen, der Musik mag und seine CDs absichtlich mit Kratzern versieht, um unkalkulierbare Effekte zu erzielen. Die so erzeugte Stelle hört er sich dann immer wieder an, bis sie übersprungen wird und der nächste Kratzer an der Reihe ist. Während in seinem Kopf eine eigenwillige Klangwelt entsteht, bleibt er gut gelaunt und strahlt eine unerschütterliche Freundlichkeit aus. Auf diesem Stück hört man Dinge, die in einem Piano herumschwirren: Aluminiumhüllen von ausgebrannten Teelichtern oder elektrische Motoren, die mit den Vibrationen der Klaviersaiten eine Verbindung eingehen.
Godot
Diese Aufnahme wurde von Anfang bis Ende durchgespielt. Wir achteten sorgfältig darauf, die Musik nicht einzuengen, und hinterher haben wir nicht daran herumgebastelt. Bei uns erweckt es eine lebendige Kombination aus Erinnerung, Ruhe, Gewissheit und Verletzlichkeit. Es beginnt mit einem kleinen Hammer, der im Inneren des Pianos gegen eine Metallschale schlägt und an das Klappern eines alten Motors erinnert, während die Geige zwischen Singen und Geräuscherzeugung wechselt, zwischen Sprechen und Beschreiben. Das Stück hat einen stark hypnotischen Charakter, wenn man es im Surround-Sound abspielt und die Lautstärke voll aufdreht.
Krakow
Dies ist das einzige Stück, in dem Elemente verwendet wurden, die schon vor den Sessions entstanden. Ungefähr ein Jahr früher, als wir uns an Probetracks versuchten, die wir uns gegenseitig zukommen ließen, nahm Hauschka zu Hause ein Stück auf seinem Bechstein-Klavier auf. Der Arbeitstitel lautete “Krakow”, in Erinnerung an jene ganz bestimmte Melancholie, die man in dieser Stadt spürt. Während einer Pause im Studio, hörten wir uns diese Aufzeichnung an und waren überrascht, dass das Klavier es klanglich mit dem Flügel aufnehmen konnte, den wir gerade benutzten. Wir löschen die Violin-Töne, die wir vorher darüber gelegt hatten, und improvisierten neue Klangschichten über Originalaufnahmen.
North Atlantic
An einem Tag, als wir eigentlich drinnen bleiben sollten, gingen wir ans Meer. Der eiskalte Wind wehte so stark, dass er uns beinahe zu Boden warf, dennoch wirkte die Welt hier, wo Wasser und Land aufeinander trafen, ganz ruhig. Die Wellen hatten Spuren auf dem Strand hinterlassen. Der Leuchtturm, zu dem wir schließlich gelangten, war nur bei Niedrigwasser erreichbar, und zufälligerweise war gerade Ebbe, als wir dort ankamen. Das Meer erschien uns unermesslich weit. Die salzige Gischt spritzte auf, und es sah aus, als würden Fische empor springen. Die Wellen hoben und senkten sich langsam, als würden sie atmen. Als wir wieder vor den Mikrophonen standen, begannen wir unsere Improvisation mit einem Frage-Antwort-Muster. Das ganze Stück über folgten wir den sich frei entwickelnden Melodien, so dass sich die Musik unbegrenzt ausdehnen konnte.
Draw a Map
Es ist sehr schwierig das Zentrum von Island abzubilden. Im Winter ist es viel zu rau, um sich dort aufzuhalten. Die Gegend wird ständig von heftigen Unwettern heimgesucht und überall klaffen Erdspalten. Im Sommer jedoch machen sich viele Leute auf, um in dieser schönen Umgebung zu wandern, einen ruhigen Ort zu campen zu suchen und die langen Tage zum feiern zu nutzen. Pflanzen in allen Farben überziehen dann das Land, das sonst bloß Schwarz und Weiß kennt. Nur wenige Straßen durchschneiden die Landschaft.
Das Piano klingt auf diesem Stück eher elektronisch, wie eine kaputte Drum-Machine, und wird modifiziert durch Murmeln und Isolierband, das auf die Saiten geklebt wurde, um einen unvorhergesehenen Effekt zu erzielen. Wir verzichteten darauf, jemandem die Führung zu überlassen, damit jeder sich ganz frei entfalten konnte.
Ashes
Diese Musik beschreibt das Gefühl, das uns die Natur vermittelt, wenn sie übermächtig wird und uns gleichermaßen in Angst wie Erstaunen versetzt. Einige Tage nachdem wir mit den Aufnahmen begonnen hatten, brach der Vulkan Grumsvotn auf der anderen Seite der Insel aus. Ein feiner Aschefilm schwebte durch die geöffnete Tür und verteilte sich auf der Türschwelle, dem Boden, den Fußbodenleisten und dem Mischpult. Wir machten alles zu und schlossen uns ein. “Ashes” beschreibt die wechselnden Farben im Himmel während des Vulkanausbruchs – Grau wechselt zu Gelb, und auf eine geradezu übernatürliche Dunkelheit folgt schmutzig-trüber Dunst. Es war faszinierend und wirkte gleichzeitig unheilvoll. Niemand traute sich hinauszugehen. Die Vögel waren verstummt. Weder Autos noch Flugzeuge waren unterwegs. Die einzigen vernehmbaren Töne, waren die, die wir selbst produzierten.
Sink
Für dieses Stück haben wir vorab einiges umgeändert. Die Violine wurde im oberen Stockwerk neben einem großen Fenster aufgenommen, um eine besondere Unmittelbarkeit des Klangs zu erzielen. Außerdem befestigten wir einen Dämpfer an dem Instrument, durch den die Töne nur mit großer Mühe dringen konnten. Das Piano blieb im unteren Geschoss und wir hörten uns gegenseitig über Kopfhörer zu. Auf diese Weise waren wir gezwungen uns auf ganz andere Art wahrzunehmen. Wenn einer die Richtung der Musik änderte, musste der andere in der Lage sein, ihm nach Gehör sofort zu folgen. Wir spielten mit großen Dynamikunterschieden. Das war sehr spannend.
Halo of Honey
Der Titel stammt aus einem bewegenden Song von Tom Brosseau, der uns in Deutschland zum ersten Mal zusammen brachte. Kurze Zeit später machten wir uns auf den Weg über den Ozean und kamen nach San Francisco, wo wir nach einem Konzert von Tom die Gelegenheit hatten, fünf Minuten zusammen zu spielen. Der Auftritt war sehr inspirierend. Danach war uns klar, dass es sich lohnen würde, weiter zusammenzuarbeiten. Und so begann unsere Kooperation.
Rift
Rift bezieht sich auf Silfra und beschreibt die Tiefe und Abgeschiedenheit und das Gefühl, das einen inmitten dieser zahlreichen wunderschönen Phänomene erfasst. Das Wasser in diesem Spalt sieht aus wie Eis, so ruhig ist es. Nichts bewegt sich, nur der von Tauchern aufgewirbelte Sand. Alles erscheint zeitlos. Töne verbreiten sich wie in Zeitlupe. Es ist ein sehr ergreifender Ort.